Sonntag, 22. April 2012

Haben Wir daraus gelernt?

Frau Weisband veröffentlichte in Ihrem FAZ-Blog: "Salon Skurril", die Zeichnung einer Mutter mit Kind im linken Arm, die den Schrecken von Auschwitz darstellen sollten.

Hier nur meine Kommentare dazu, plus einem Zwischenrufer:

Hallo Frau Weisband, ich beglückwünsche Sie mit vollem Herzen, also ohne Ironie, Sarkasmus oder gar verletzender Häme dazu, dass Ihnen zum Thema "Bebilderung von Auschwitz" lediglich eine so alltägliche Szene zweier praller Menschen einfällt, denn, den von Ihnen gezeichneten "Schrecken" (ich setze diesen Schrecken in Anführungsstriche, weil diese Gefühlslage zwar mit demSelben Begriff belegt ist, aber mit der Gefühlslage, die Auschwitz als Neu-Insasse war, nur entfernt etwas zu tun hat) erlebe ich fast täglich, hier in der Strasse: Mütter vor und beim überqueren der Strasse zwischen den Autos, Mutter beim hochheben des Kindes vor einem heranbrausenden Radler, Mutter beim eiligen davonrennen mit Nachwuchs, vor einem April-Schauer und ähnlichen alltäglichen "Schreckens"momenten. Dass Sie also den alltäglichen Schrecken!, der in Auschwitz herrschte, nie kennengelernt, oder auch noch nicht in-s ich entdeckt und erregt haben, ist ersichtlich. Sie können noch weitgehend unbelastet und beschwingt durch die RaumZeit leben. DasJenige, das in Auschwitz als Gefangenes gelitten hat, kann das nicht mehr, auch wenn Es dem Gas, dem elenden Hungertod, der üblen Zwangsarbeit, oder anderen Entsetzlichkeiten noch entrinnen konnte.
Kennen Sie, - ausserhalb der Tragezeit in der Mutter -, die vollständige Auslieferung Ihres Selbst an andere Menschen: so dass das Wohl und Wehe des persönlichen DaSein völlig von fremden Menschen geraubt und entzogen ist, bis zur Verkümmerung im Tod?
Kennen Sie wochen- oder sogar monatelange Unterernährung, Wassersuppe und "Brot", das nur noch dessen Namen trägt?
Kennen Sie die vollständige EntPrivatisierung eines Alltags mit 2 Fremden im selben Bett und mit hunderten Anderen in der selben Hütte, angefüllt mit Wimmern, Wehklagen und AlpTraumSchreien?
Kennen Sie eine tägliches Überleben mit vollkommener Entwürdigung und BlossStellung in allen Bereichen, mit brutalster Gewalt zu jeder Tag- und Nacht-RaumZeit?
Kennen Sie völlig sinnfreie Zwangsarbeit, bis zu 14 Stunden täglich, in Mooren und Sümpfen, in Steinbrüchen, Höhlen oder auch etwas abgemildert in Fabriken?
Selbstverständlich Nein.
Kennen Sie Arztbesuche, bei denen Sie schon vor der Praxistür, auf der Strasse, bei allen Wettern, nackt warten müssen und bei denen nicht Heilung zählt, sondern blosse Tauglichkeit gewertet wird; und zum Schluss, kennen Sie den Gefühlszustand, dass Ihre Verwandten neben Ihnen zu Tode geprügelt werden, oder ins Gas getrieben werden?
Das Alles war; und ist für die Überlebenden: AUSCHWITZ.

Nichts davon entdecke ich in Ihrem Bild.
Glücklicherweise, wie ich Eingangs schrieb. Für Sie und für Uns, denen dieses Grauen erspart blieb. Manchmal ist es besser eine Herausforderung zu verneinen, wenn sie noch zu früh und unvorbereitet kommt. Manchmal ist es besser sich Rat einzuholen bei kompetenten Menschen, um eine Prüfung zu bestehen, auch wenn Mensch sich Alles zutraut.
Den "Schrecken", den Sie andeuten, der ein friedlicher ist, hat Gustave Courbet in einem wunderbaren Selbstportrait gemalt, es heisst: "Portrait de l'artiste, dit Le Désespéré". Sie finden es auch in meinem Blog. Das, was dem Schrecken der Konzentrationslager wohl am nächsten kommt hat Edvard Munch gezeichnet, Sie kennen es.

Als Kunstinteressierte empfehle ich Ihnen auch die Zeichnungen von Egon Schiele, Max Beckmann, Oskar Kokoschka ..., die nach den Schrecken des ersten WK entstanden sind. Den Alltag der Frauen im KL Ravensbrück hat die Französin Violette Lecoq in eindrücklichen Zeichnungen dokumentiert. In all dem finden Sie vielleicht eine Annäherung zu der ermatteten, bleichen und ausgezehrten Erregung, die Auschwitz und andere Todeslager waren.
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darauf schrieb @stimmviech, 17. April 2012, 11:32
@Oliver-August Lützenich: Ich halte die Schilderung und die Bilder der Blogautorin für einfühlsamer als die brutal-nüchterne Schilderung der KZ-Wirklichkeit. Grauen bedeutet ja, daß man noch auf emotional halbwegs sicherem Grund steht und sich "nur" vor dem Kommenden fürchtet.
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Mark Rothko, "Untitled", Violet, Black,
Orange, Yellow on White and Red, 1949.
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Mein  zweiter Kommentar:
@stimmviech: Darf ich Ihnen mit einem Witz antworten? Ich denke ja. Also, und vorwegg, es ist ein jüdischer Witz: "Kohn beklagt sich bei Grün: „Meine Frau, die red' und red' und red', ich werd noch ganz meschugge“. „Was red' sie denn?“. „Nu', das sagt sie nicht“."
Die Frage, die ich an Sie stelle, wobei ist Frau Weisband einfühlsamer, wie sie schrieben?
Beim erschrockenen, liebevollen, aber auch überforderten Mutter-Sein, ja, oder der Vorstellung davon, ganz klar: Ja, wenn es aber um die Shoah und da speziell um Auschwitz geht, bemerke ich höchstens eine distanziert interessierte Annäherung, die allerdings nicht über mütterliche Gefühle funktionieren kann. Warum?

Hallo Frau Weisband, sie schrieben: "Denn Mütter gab es schon immer und in allen Teilen dieser Welt. Und ihre Liebe zu ihren Kindern gibt es in allen Teilen dieser Welt. Und überall und immer muss sie beschützt werden, weil sie mit das Wertvollste ist, das die Menschheit besitzt.".
Frau Weisband, Sie vergessen oder verdrängen "Medea" und mit ihr etliche Mütter, die ihre Kinder gequält, vergessen, verkauft oder getötet haben, oder Mütter, die keine Beziehung zu ihren Kindern aufbauen können und das betrifft, alleine in D, etwa 10% der Mütter. Mutter, zu einem Begriff von Innigkeit, vollkommener Liebe und Schutzinstikt zu erklären ist somit Falsch, ist zu einfach, ist wesentlich zu eingeschränkt. Mutter-sein, ist auch Missbrauch und Misshandlung. Insofern steckt die Shoah auch in jeder Mutter auch wenn sie "Gott sei Dank"(?) meist nicht ausgelebt wird.

Darf ich Heinrich Heine einflechten, der sich mit ähnlichen Fragen von Leid und Gerechtigkeit, vor der Shoah, befasst hat:

Titel: «Zum Lazarus» - "Lass die heiligen Parabolen, lass die frommen Hypothesen - Suche die verdammten Fragen - ohne Umschweife uns zu lösen. Warum schleppt sich blutend, elend, unter Kreuzlast der Gerechte, während glücklich als ein Sieger - Trabt auf hohem Ross der Schlechte? Woran liegt die Schuld? Ist etwa Unser Herr nicht ganz allmächtig? Oder treibt er selbst den Unfug? Ach, das wäre niederträchtig. Also fragen wir beständig, bis man uns mit einer Handvoll Erde endlich stopft die Mäuler - Aber ist das eine Antwort?" -.

Nein, das ist sie nicht, also weiter fragen.

Was dabei herauskommt, wenn ein Mensch sich ohne intensivere Beschäftigung mit dem Grauen und damit auch mit der Shoah beschäftigt, wenn auch das Dritte Reich nur als Schocker oder Provokation missbraucht wird, zeigt die jüngste Aussage eines Berliner Piraten und sein Vergleich mit der NSDAP: substanzlose Dumpfheit.

Uns Nachgeborenen gelingt eine Annäherung und ein tieferes Verständnis, auch und gerade Mit-Gefühl, zu dieser RaumZeit-Periode und deren Ereignissen, erst, wenn Wir zumindest die wichtigsten Werke der Betroffenen gelesen und auch zugehört haben (Dokumentationen) und wenn Wir die wichtigsten Erforscher dieser Periode studiert und verstanden haben.
Ich zähle dazu: Die Erlebnisberichte aus Auschwitz etwa von Primo Levi, Elie Wiesel, Suzanne Birnbaum, Jean Améry und Robert Levy, oder auch von Robert Antelme, Richard Glazar, Hertha Feiner und Eugen Kogon. Nur ein kleiner Auszug der Werke, die als Vorbereitung für eine einigermassen stimmige Aussage in Wort und/oder Bild zum Thema "Vernichtungssystem/-Lager im Dritten Reich" erforderlich sind. Dazu noch die Standardwerke zur Vorgeschichte und den Abläufen in und um Das Dritte Reich herum, von Raul Hilberg und z.B. Ian Kershaw. Sehr wichtig auch, der DokumentarFilm "Shoah" von Claude Lanzmann.
Mindestens zwei mal, bitte.

Wenn jetzt Eines denkt, das ist aber schon viel, vielleicht Zuviel, dann Bitte ich DasJenigEs darum, sich eines Beitrags zu diesem Thema zu enthalten, die Betroffenen und deren Angehörige danken dafür, ausser Eines flicht ein, dass Es wenig zu diesem Thema weiss und ein Gefühl dafür noch sucht, aber ...
Jetzt könnten Sie natürlich sagen: es ist grundsätzlich das Recht eines Jeden Menschen, sich zu allem und jedem frei zu äussern! Dann verweise ich auf den Witz am Anfang diese Kommentars: es kommt halt wenig dabei raus, oder gar Nichts.

Zu @stimmviech: ich übersetze Ihre Formulierung "brutal-nüchtern" etwas weniger aggressiv, als "Ernsthaftigkeit", die ist das Ergebnis einer intensiven und sehr bewegenden Auseinandersetzung mit der europäisch-deutschen Geschichte, also weniger das Ergebnis (falscher?) Gefühligkeit.

Dazu Arthur Schopenhauer, aus «Die Welt als Wille und Vorstellung», Kapitel 8, Zur Theorie des Lächerlichen: "Das Gegentheil des Lachens und Scherzes ist der Ernst. Demgemäß besteht er im Bewußtseyn der vollkommenen Uebereinstimmung und Kongruenz des Begriffs, oder Gedankens, mit dem Anschaulichen, oder der Realität. Der Ernste ist überzeugt, daß er die Dinge denkt wie sie sind, und daß sie sind wie er sie denkt. Eben deshalb ist der Uebergang vom tiefen Ernst zum Lachen so besonders leicht und durch Kleinigkeiten zu bewerkstelligen; weil jene vom Ernst angenommene Uebereinstimmung, je vollkommener sie schien, desto leichter selbst durch eine geringe, unerwartet zu Tage kommende Inkongruenz aufgehoben wird. Daher, je mehr ein Mensch des ganzen Ernstes fähig ist, desto herzlicher kann er lachen. Menschen, deren Lachen stets affektirt und gezwungen herauskommt, sind intellektuell und moralisch von leichtem Gehalt; wie denn überhaupt die Art des Lachens, und andererseits der Anlaß dazu, sehr charakteristisch für die Person ist."
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Ich schliesse mit einem weiteren Witz: "In einem Wiener Reisebüro erkundigte sich nach dem Einmarsch Hitlers ein Jude nach Auswanderungsmöglichkeiten. Die Angestellte des Reisebüros hatte den Globus vor sich und fuhr mit dem Finger von Land zu Land und sagte: "Auswanderung nach Palästina ist gesperrt, die amerikanische Quote ist bereits vergriffen, Visum für England sehr schwer, für China, Paraguay und Brasilien braucht man finanzielle Garantien, Polen erlaubt selbst polnischen Juden keine Wiedereinreise." Der Jude deutete resignierend mit dem Zeigefinger auf den Globus und fragte: "Außer dem da haben Sie nichts?"
Guten Tag. 

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